Espresso Doppio - Österr. Staatsmeisterschafts-Wochenende in Sulz (B) und Kaltenbach-Igls (T)

Vorbildlich abgesichert war die 12,5 km lange Schleife von Sulz bis zur Wende in Rohr und wieder zurück. Jede größere Einfahrt war mit einem Absperrgitter versehen, an jeder Straßenkreuzung war ein Feuerwehrmann postiert. Zudem waren die Anrainer entlang der Straße mit Flugblättern über die Meisterschaft informiert worden. Ergebnis: begeisterte Rennfahrer und viele Zuschauer, die rechtzeitig Position entlang der Strecke bezogen hatten.

Der Radsport-Zirkus war diesmal zu Gast im Mineralwasser-Zentrum in Sulz bei Güssing, wo der älteste Mineralwasserhersteller Österreichs seinen Stammsitz hat. Die „Vitaquelle“ feiert im kommenden Jahr ihr 200jähriges Firmenjubiläum, aber schon die Römer wussten die Vorzüge dieser Quelle zu schätzen. Heute füllt Güssinger rund 50 Millionen Liter Mineralwasser jährlich ab.

Die erhoffte Revanche zwischen den Giro-Startern Riccardo Zoidl und Georg Preidler hat bei der Zeitfahrmeisterschaft nicht stattfinden können. Zoidl ließ das Rennen aus, um sich ganz auf die Titelverteidigung beim Straßenrennen konzentrieren zu können, Preidler musste wegen einer Verkühlung kurzfristig zur Sulz absagen. 

Der Kampf um den Gesamtsieg bei der Tchibo Top.Rad.Liga wird immer spannender. Jan Tratnik (Amplatz-BMC) konnte seine Gesamtführung mit einem achten Rang beim Zeitfahren verteidigen, nur 158 Punkte liegen zwischen dem slowenischen Spitzenreiter und dem viertplatzierten Steirer Markus Eibegger, der als exzellenter Bergfahrer hoffen darf, beim Saisonfinale, dem schweren Bergrennen auf den Gaisberg, voll zu punkten. In den beiden Rennen davor (Burgenland-Rundfahrt, Croatia-Slovenia) lauern Sprinter wie Florian Bissinger (WSA Greenlife) und Patrick Konrad (Gourmetfein), um ihre Gesamtränge zwei und drei ebenfalls zu verbessern.

Viel Lehrgeld musste eine arrivierte Wintersportlerin zahlen, die sich im Zeitfahren auf neuem Terrain versucht hatte. Die Steirerin Veronika Windisch, als Olympia-Elfte im Shorttrack eine exzellente Eisschnellläuferin, kam ziemlich aufgelöst von der Rampe weg. Ihre Zeitfahrmaschine war nicht ganz regelkonform eingestellt, die Umbauten glückten dem Betreuer buchstäblich erst Sekunden vor dem Start. Während des Rennens geriet sie dann einmal ins Kiesbett und verpasste auch noch eine Abzweigung. Mehr als Rang zwölf unter 18 Rennfahrerinnen war unter diesem Umständen für sie nicht zu holen.

Einige Sportprominenz des Zillertales aus früheren Jahren gab sich beim Start der Staatsmeisterschaft in Kaltenbach ein Stelldichein: die Brüder Georg und Harald Totschnig als echte Lokalmatadore sowie Ski-Olympiasieger Leonhard Stock. Der Abfahrtschampion von 1980 ist wohlbestallter Hotelier im nahe gelegenen Finkenstein, die Totschnigs wurden von ihren früheren Kollegen mit großen Hallo empfangen. Georg Totschnig, noch immer rank und schlank,  ist mittlerweile in der Immobilienbranche tätig, sein jüngerer Bruder Harald, der erst vor einem knappen Jahr das Rennrad in die Ecke gestellt hat, Angestellter bei den Tiroler Wasserkraftwerken.

Riccardo Zoidl ist offensichtlich in Topform, das hat er auf der wirklich schweren 170 km-Strecke eindrucksvoll bewiesen. Schon vor der Meisterschaft ist er von seinem Team Trek zum Kapitän für die Tour d Autriche nominiert worden – und wird die Rundfahrt erneut im Meistertrikot bestreiten.

Viele Fragen seiner Kollegen musste sich Gregor Mühlberger vor dem Start gefallen lassen. Der Niederösterreicher ging mit einem leuchtend blauen Pflaster auf Hals und Nacken an den Start. Seinen verspannten Halswirbel wollte er mit diesem Heilpflaster ein wenig Linderung verschaffen. Geholfen hats wohl: Silbermedaille, sehr zur Freude seiner großen Fan-Gemeinde beim Team Tirol Cycling.

Abseits aller Rivalität wissen Radprofis sich auch ganz gut gegenseitig zu helfen: weil Stefan Rucker  nur seine Baku-Schützlinge Sokol und Eibegger zu betreuen hatte, wurde er auch „eingeteilt“, die Einzelfahrer Krizek, Zoidl und Eisel zu übernehmen. Anreiz dabei: die begehrte Konvoi-Nummer eins. Und Unterstützung hat Eisel beim Rennen sehr wohl gebraucht: zwei Stürze, und einmal hat er sich mit der Spitzengruppe verfahren, weil bei einem Kreisverkehr nirgends ersichtlich war, wo es denn weitergehen sollte. Matthias Brändle wiederum wurde vom Team Vorarlberg mitbetreut. Lukas Pöstlberger hat gute zwei Monate nach seinem Beckenbruch einen vielversprechenden   Comebackversuch gestartet. In  der Anfangsphase des Rennens glückte ihm sogar ein Ausreißversuch, der Tirol-Cycling-Fahrer hielt sich dann längere Zeit in einer Spitzengruppe auf, musste aber nach Halbzeit des Rennens den Strapazen Tribut zollen -  der Staatsmeister von 2012 war einer von über sechzig Fahrern, die das Rennen nicht beendeten.

Das „schwerste Meisterschaftsrennen seit Jahrzehnten“, so das Urteil von ÖRV-Generalsekretär Rudi Massak und Trainer Franz Hartl. Vor allem, weil sich der Schlussanstieg nach Igls als wesentlich anspruchsvoller darstellte, als in der Marschtabelle angegeben. Dieser Streckenteil ist vor allem noch jenen älteren Fahrern in unguter Erinnerung, die seinerzeit den Europa-Grand Prix unter der Ägide von Wolfgang Steinmayr bestritten hatten. Für 2018 wollen sich die Tiroler jedenfalls mit dieser Streckenführung für die Straßen-WM empfehlen.

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